Wie die Autoschilder-Branche die Politik beeinflusste

 

21.08.2012 | 19:53 Uhr

Wie die Autoschilder-Branche die Politik beeinflusste
Ein eigenes Kennzeichen für Wanne-Eickel könnte so aussehen. Wie es hergestellt wird, zeigt dieses Bild.Foto: Ute Gabriel

Hagen.   Der Vorstoß der Politik, die Vergabe von Nummernschildern zu liberalisieren, hat eine interessante Vorgeschichte. Es ist ein Lehrstück des Lobbyismus’, der Kunst der Interessenvertretung. Nutznießer sind die Schilderhersteller.

 

Als sich der Hagener Manfred von der Heyden und der Heilbronner Professor Ralf Bochert vor gut drei Jahren anfreunden, forschte letzterer noch um Tourismusfragen. Von der Heyden, Vorstand des Bundesverbandes der Autoschilderfirmen, muss seine Sache gut gemacht haben. Ein Jahr später stampft Bochert eine Studie aus dem Boden, mit der er so viel Aufsehen erregt wie mit keiner zuvor. Der sperrige Titel: „Initiative Kennzeichenliberalisierung“. Bis dahin wussten die Deutschen nicht, dass sie sich nichts sehnlicher wünschen als ein Altkennzeichen. Das sollte sich ändern.

 

Diese Geschichte dreht sich nicht um Lug und Betrug. Sie handelt von Einfluss und Beeinflussung, dem Wechselspiel zwischen Politik und Wirtschaft und ihrem oft wichtigsten Instrument: der Wissenschaft. Ein Lehrstück des Lobbyismus’, der Kunst der Interessenvertretung.

 

Thena wurde bundesweit Gesprächsstoff


 

Rückblick: Bochert forscht an der Basis, schickt Studenten in bis heute 176 Städte, lässt bundesweit mehr als 40.000 Bürger befragen. Schon nach wenigen Städten, in denen im Schnitt drei von vier Bürgern aus Heimatverbundenheit das alte Kennzeichen wieder haben wollen, veröffentlicht Bochert erste Ergebnisse. Als darauf die ersten Stadtoberen anspringen, staunt selbst der Professor: „Dass da jemand den Anfang macht bei einem Thema, das damals zum Scheitern verurteilt war, hätte ich nie für möglich gehalten“, sagte Bochert unserer Zeitung. Die Medien berichteten, das Thema wurde bundesweit Gesprächsstoff.

 

Was die wenigsten schrieben: Die Studie war nicht repräsentativ, „lediglich ein Stimmungsbild“, gesteht Wissenschaftler Bochert auf Nachfrage offen ein. Im Landkreistag NRW etwa schütteln sie wie in vielen Behörden heute noch verächtlich den Kopf: Wie kann „ein Stimmungsbild“, nicht mehr, zu einer derartigen Entscheidung führen?

Dem Bundesverkehrsministerium reichte dies dennoch: 2011 lud es erstmals zum Expertengremium in Berlin. In der Runde: etliche Theoretiker, Politiker, Verwaltungsleute, nur ein Praktiker. Das war Manfred von der Heyden, Lobbyist und selbst Inhaber unzähliger Schilderläden. Seine Trumpfkarte: die Studie aus Heilbronn. Er überzeugt die Runde.

500.000 Wechselwillige = 15 Mio. Euro Umsatz

Nummernschilder
Polizeigewerkschaft fürchtet mehr ungeklärte Straftaten

NRW-Verkehrsminister Michael Groschek will die Wahl der Autokennzeichen liberalisieren. Sogar Ortsteile sollen eigene Nummernschilder bekommen können. Die Pläne sorgen in NRW für heftige Diskussionen. Die Polizeigewerkschaft warnt, dass Straftaten schwerer aufgeklärt werden könnten.

Für ihn und seine Mitstreiter geht es um viel Geld: Das Bundesverkehrsministerium schätzt, dass 7,5 Prozent aller Autofahrer – also etwa 500.000 Bürger – sofort ihr Kennzeichen wechseln würden. Dies wäre ein Umsatz von rund 15 Millionen Euro für einen Verband, der offiziell 150 Unternehmer vertritt, laut Branchenkennern aber nur fünf, sechs große Wettbewerber umfasst. Da der Kennzeichen-Rohling, der später für mindestens 30 Euro verkauft wird, in der Produktion nur einen Euro kostet, sind Umsatz und Gewinn fast gleichzusetzen. „Das ist ja nur ein Einmal-Effekt“, rechtfertigt von der Heyden. Allerdings: Der Gesamtumsatz der Branche pro Jahr beläuft sich auf geschätzte 15 Millionen Euro.

 

Auf der Internetseite der Universität Heilbronn ist zu lesen, dass – anders als Bundesverkehrsministerium – selbst der Professor einen engen Zusammenhang zwischen seiner Studie und dem Beschluss sieht: „Über 225 deutsche Städte haben seit Beginn des Projektes sich für das eigene Kennzeichen ausgesprochen.“ Und: „Insbesondere die auch für uns erstaunlich große Resonanz nicht nur regionaler Medien hat zu einer positiven Sichtweise der Idee der Altkennzeichen beigetragen.“

 

Kennzeichen-Studie wurde aus dem Hochschul-Etat finanziert

Finanziert wurde die Studie aus dem Hochschul-Etat. „Im Zweifel hätten wir diese auch bezahlt“, gibt von der Heyden offen zu. Mussten sie aber nicht. Das tat schon der Steuerzahler.

Der Grünen-Abgeordnete Anton Hofreiter, Vorsitzender des Bundesverkehrsausschusses, prangerte diese neuen Erkenntnisse an: „Dies ist ein skandalöses, aber verbreitetes Vorgehen.“ Selbst bei mehreren Hundert-Millionen-Projekten, so Hofreiter weiter, würde teilweise ein Gutachten ausreichen, das dann sogar noch geheim gehalten werden könnte. „Genau so sollte politische Meinungsbildung nicht gemacht werden. Aber das passt zum Stil des Hauses“, betont Hofreiter.

 

SPD wirft Ramsauer "populistisches Ablenkungsmanöver" vor

 

Sören Bartol, Sprecher der SPD für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, schlägt in dieselbe Kerbe und kritisiert Verkehrsminister Ramsauer: „Die Altkennzeichen sind ein populistisches Ablenkungsmanöver von den wirklich wichtigen Themen, die er nicht anpackt.“ Es sei seine Pflicht gewesen, die Qualitätsfrage der Studie zu stellen. „Stattdessen sucht er den schnellen medialen Punkt“, sagt Bartol.

 

Auch die Anti-Korruptionsorganisation Transparency International wiederholte ihre Forderung nach mehr Transparenz: „Bei politisch kontroversen Themen muss es zu jedem Gutachten ein Gegengutachten geben, um den versteckten Einfluss von Interessen zu minimieren“, sagte Geschäftsführer Dr. Christian Humborg.

 

Das Ministerium wies die Vorwürfe zurück. Nicht die Studie sei Grundlage des Handelns gewesen, sondern die Bitte der Länder auf der Verkehrsministerkonferenz im April 2011, heißt es aus dem Ministerium.

 

 

Quelle: www.derwesten.de