Borchert veräppelt Ramsauer
Borchert veräppelt Ramsauer

Autokennzeichen - Der gewonnene Schilderkampf des Professors

Wie ein Wissenschaftler mit einer Kampagne Politik und Medien lenkte, und so die alten Autoschilder zurückbringt. Ein Lehrstück.

 

Von Lisa Altmeier - Die Zeit - 24.08.12

 

Als "persönlich, anspruchsvoll und praxisnah" rühmt sich die Hochschule Heilbronn auf ihrer Website. Viel zu persönlich und praxisnah allerdings, geradezu unwissenschaftlich, ist das, was der Heilbronner Professor Ralf Bochert in den vergangenen drei Jahren gemacht hat. Mit einer vermeintlich seriösen Studie, die tatsächlich aber eher eine Kampagne war, hat er gezeigt: Sehr viele Deutsche wünschen sich alte Regionalkürzel auf ihren Autoschildern zurück. Seine Arbeit trug mit dazu bei, dass Verkehrsminister Ramsauer jetzt das Gesetz ändern will: Künftig sollen in einer Kommune verschiedene Autokennzeichen erlaubt sein. Genau das hat Bochert, Dekan des Studienganges Tourismusmanagement, von Beginn an bezweckt.

Bochert schrieb in der online verfügbaren Studie ganz unverblümt, Ziel sei: "Mehrere Kennzeichen in einem Landkreis." Die Hochschule Heilbronn hatte dabei die Funktion "wissenschaftlich untermauernd" im Geflecht zwischen Medien, Politik und Verwaltung zu agieren, um dieses Ziel durchzusetzen.

 

Bochert wusste, wie er das Thema "Autokennzeichenliberalisierung" möglichst schnell möglichst bekannt machen konnte. In einem Strukturbild prognostizierte er die Reaktionen: Lokale Medien berichteten "ernsthaft positiv", überregionale Medien "positiv, manchmal augenzwinkernd", die lokale Politik sei "in der Regel positiv interessiert", während die Stadtverwaltungen "interessiert, nüchtern und kostenorientiert" seien. Er beschreibt die politischen Wege von der Lokalebene über die Landkreise bis zu den Bundesländern, wie Medien und Politik sich gegenseitig so beeinflussen können, dass am Ende die alten Kennzeichen tatsächlich zurückkommen.

 

Konkret ging Bochert so vor: Er bot Städten in ganz Deutschland an, ihre Bürger zu dem Thema zu befragen – kostenlos, die Finanzierung übernahm die Hochschule Heilbronn. Die Stimmungsbilder sollten zeigen, dass sich viele Leute das alte Autokennzeichen zurückwünschen. Mindestens 176 Kommunen sagten zu. Die Befragungen wurden jeweils groß in der örtlichen Presse angekündigt. Immer dabei auf den Marktplätzen der Republik: Ein Nummernschild mit dem jeweiligen Kennzeichen, dass wiederbelebt werden sollte. Damit die Bürger gleich vor Augen haben, was sie mit Stimme bei der Befragung erreichen können. Insgesamt 40.000 Leute nahmen an den Umfragen des Professors und seines Teams teil. Die große Mehrheit von ihnen sprach sich für die Rückkehr der alten Kennzeichen aus.

Damit begann Phase zwei für Bochert. Er wurde zum Politikberater. Der Professor griff auch wesentlich in die Politik der betroffenen Kommunen ein: "Wir haben die Interessen dieser Städte zum Teil koordiniert, weil sie keine bundesweite gemeinschaftliche Plattform haben", sagt Bochert. Also übernahm er das. Der Professor erklärte Kommunalpolitikern, wie sie das Thema von einer Ebene auf die nächste hieven konnten, bis es schließlich im Bundesverkehrsministerium bei Peter Ramsauer ankam. "Wir mussten das politisch schlau machen, das gebe ich zu", sagt er.

Auch überregionale Medien griffen das Thema auf, genau wie von Bochert gewünscht. Sein akademischer, vermeintlich unparteiischer Status verlieh der Kennzeichen-Frage die nötige Seriosität. Der Professor und seine Studenten wurden viele Male mit Autokennzeichen in der Hand fotografiert. Die FAZ berichtete, ebenso ZEIT ONLINE. Dabei wurden auf Stadtebene lediglich Stimmungsbilder eingefangen, für keine Stadt gibt es ein repräsentatives Ergebnis. "Wenn Sie in einer Stadt eine repräsentative Studie durchführen wollen, bringt das nichts. Das ist das Dilemma." Mit "bringt das nichts" meint Bochert, dass er mit seiner Studie in diesem Fall keinen politischen Prozess hätte anstoßen können. Bochert und seine Hochschule profitierten auch selbst, schließlich konnten sie ihre Bekanntheit durch das Kennzeichen-Projekt deutlich steigern. Dazu passt, dass das Geld dafür, rund 60.000 Euro nicht etwa aus Forschungsmitteln kam, sondern größtenteils aus dem Marketingetat der Fakultät.

 

Der Autokennzeichenverband freute sich naturgemäß über die Kampagne. "Die Arbeit von Professor Bochert zeigt Wirkung. In vielen kommunalen Gremien steht das Thema auf der Tagesordnung", heißt es in einem von vielen Artikeln über ihn in der Mitgliederzeitschrift des Verbands. Seine Mitglieder werden von der Kennzeichen-Liberalisierung profitieren: In Wetzlar hätten bereits 4.000 Menschen solch ein 80 Euro teures Kennzeichen reserviert, freut sich der Branchenverband. Bis zu 15 Millionen Euro könnten deutschlandweit zusammenkommen.

Trotz der offensichtlichen Kampagnenhaftigkeit besteht eine Sprecherin der Hochschule Heilbronn darauf, es würde sich um ein reguläres Forschungsprojekt handeln. "Anfangs wurden die Übernachtungen noch von den Städten selbst bezahlt. Dann sah die Uni, dass die Studie viel Aufmerksamkeit nach sich zog und bezahlte dann auch das," erklärt Bochert.

 

Bochert gesteht zu, dass sein Vorgehen streitbar ist, wenn auch nur ein wenig: "Das Ganze ist nicht von vorne bis hinten fragwürdig, das Kampagnenartige ist fragwürdig, das gebe ich zu." Von der Richtigkeit seiner Ergebnisse und seines Anliegens ist er aber weiterhin überzeugt. Die Umfragen laufen übrigens bis heute. Allerdings nur in den Städten, die sich noch nicht für ihre alten Kennzeichen stark gemacht haben – "weil nur das politisch einen Sinn ergibt", so der Professor.

 

 

 

ÜBERRASCHENDE WENDE

Ramsauer will neue Straßen statt neuer Schilder

 

13. April 2010, 13:20 Uhr • WELT

Alte Verkehrszeichen sollen nun doch vorerst gültig bleiben. Verkehrsminister Ramsauer reagierte damit auf die Kritik der Kommunen, die Kosten von bis zu 400 Millionen Euro durch den Umtausch der Schilder befürchten. Das Geld soll nach dem Willen des Ministers für etwas anderes ausgegeben werden.

Das wichtigste neue Verkehrszeichen ist die "durchlässige Sackgasse". Will heißen: Hier kommen zwar keine Autos, aber Radfahrer und Fußgänger durch.

Für den Austausch durch moderne Verkehrszeichen soll es eine Übergangszeit geben, kündigte Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) an. Er reagierte damit auf die scharfe Kritik der Kommunen, die Kosten von bis zu 400 Millionen Euro durch den Umtausch der Schilder befürchten. Zwischen alten und neuen Schildern gibt es zum Teil nur sehr geringe Unterschiede.

Ramsauer will am Mittwoch bei der Verkehrsministerkonferenz in Bremen mit seinen Länderkollegen über die nötigen rechtlichen Änderungen sprechen. „Das muss jetzt schnellstmöglich gehen“, sagte der Verkehrsminister. Er forderte die Kommunen mit Blick auf die möglichen Einsparungen dazu auf, das gesparte Geld für die Beseitigung der Winterschäden auf den Straßen einzusetzen.

Seit September 2009 gilt eine Änderung der Straßenverkehrsordnung. Danach hätten unmodern gewordene Schilder ohne weitere Übergangszeit durch ihre schon vor Jahren entworfenen Nachfolger ersetzt werden müssen.

Jahrelang hatten sie zuvor nebeneinander existiert. Diese Möglichkeit der „Koexistenz“ war aber in einem Gesetz zum Abbau des Schilderwaldes noch von der großen Koalition gestrichen worden. Rechtliche Probleme durch die Fortsetzung des Nebeneinanders von alten und neuen Schildern sieht Ramsauer nicht. Gerichte hätten Einwänden gegen Bußgeldbescheide nicht stattgegeben, wenn darin die Gültigkeit der alten Schilder angezweifelt wurde.

Ramsauer sagte, der rasche Austausch sei unverhältnismäßig, weil sich die alten Verkehrszeichen nur marginal von den gängigen Schildern unterschieden. Auch aus Gründen der Verkehrssicherheit sei die Austauschaktion nicht notwendig. In der Praxis hätten die Verkehrsschilder außerdem augenscheinlich eine längere Lebensdauer als die ursprünglich angepeilten 15 Jahre.

Mit seiner Notbremse reagiert Ramsauer nach eigenen Worten auf Fehler der großen Koalition bei der Überarbeitung der Straßenverkehrsordnung. Wegen Rechtsunsicherheiten habe er die „Schilderwaldnovelle“ prüfen lassen. Das Ergebnis: „Die Novelle ist wegen eines Verstoßes gegen das verfassungsrechtlich verankerte Zitiergebot nichtig.“ Daher gelte die Straßenverkehrsordnung in der Fassung vor dem 1. September 2009.

Sein Ministerium arbeite daran, die Fehler zu korrigieren, sagte Ramsauer. Den Änderungen muss der Bundesrat zustimmen. „Für mich bleibt es auch bei der Überarbeitung der Verordnung erklärtes Ziel, der Überbeschilderung auf deutschen Straßen entgegen zu wirken.“

Für viele der finanziell klammen Kommunen in Brandenburg kommt die Entscheidung Ramsauers zu spät: Das Anbringen der neuen Verkehrsschilder sei so gut wie abgeschlossen, teilte das Verkehrsministerium in Potsdam mit. Das Problem sei seit 15 Jahren bekannt und der Bund habe den Ländern für den Austausch viele Jahre Zeit gelassen. Brandenburg habe diese Zeit genutzt.